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5. März 2021
Die Krone der Schöpfung und anderer Blödsinn

Wie kann es sein, fragt mich jüngst die Gattin beim Betrachten der Katernase, dass wir nicht alle und immerzu niederknien vor dieser Perfektion?  Niederknien und dann rausrennen und die Vögel füttern, den Löwenzahn beschützen, alles Lebendige um uns herum hegen und pflegen und bewundern und sein lassen und… respektieren?

Ja, wie kann es sein?

Wie kann es sein, dass der absurde Gedanke, wir Menschen seien mehr wert als unsere Mitgeschöpfe, zu einem Leitmotiv in der Geschichte dieses Planeten wurde? Zu einem herzlosen Leitmotiv, das niemandem nutzt, im Endeffekt  noch nicht einmal denen auf dem Thron? Ich weiss es nicht. Aber während ich mich tief verbeuge vor allem, was lebt, fällt die Krone – und das Bild weitet sich.

Würden wir als Spezies einen Weg finden, uns wieder mit der Gesamtheit des Lebendigen zu verbinden, würden die Entscheidungen, die wir treffen, andere werden. Wenn wir erkennen, dass unser Leben und Atmen auf dieser Kugel ein verdammtes Wunder ist – dann werden wir vielleicht auch wieder beginnen, uns diesem Wunder entsprechend zu bewegen. Den gemeinsamen Lebensraum wirklich zu teilen. Unser Ökosystem funktioniert in einer sensiblen und permanent auszutarierenden Balance, deren Spielregeln der Mensch noch nicht einmal annähernd begriffen hat – oder vielleicht auch nicht mehr. Gleichwohl erheben wir uns immer wieder, individuell und kollektiv, und greifen ein ins Gleichgewicht, wollen schlauer sein, kontrollieren, haben, sind unersättlich. Muss das sein? Ist das wirklich die notwendige Medaillenrückseite unserer vielgepriesenen Geisteskraft? Ich möchte gern denken, dass nein. Und vertraue dem Potential, das in Verbundenheit liegt.

Vielleicht könnten wir ja einfach mal damit beginnen, zuzuhören. Anzunehmen, dass nicht nur wir etwas zu sagen haben, einfach mal die Klappe halten mit der eigenen Wichtigkeit. Wirklich wissen wollen, was die Biene von Nebenan braucht oder der Elefant, dem gerade Lebensraum und sauberes Wasser genommen wird. Mit Tieren (und bestimmt auch mit Gänseblümchen) ins Gespräch zu kommen, ist gar keine so komische Idee. Es ist vielmehr ein Weg, unsere geteilte Lebendigkeit zu ehren. Denn genug Nichtehrendes gibt es ja bereits. Ist das, was der Mensch dem Menschen und der Gemeinschaft aller Wesen antut,  menschlich? Und wenn das menschlich ist, woher kommt dann die positive Konnotation des Wortes? Und warum heisst es demgegenüber bestialisch? Ein Vogel muss nicht nach mehr Vogeligkeit streben, denke ich und ja: der Raum fürs Weiterphilosophieren sei hiermit offiziell eröffnet.

Lasst uns die Zeit, die wir hier haben, besser nutzen. Lasst uns das uns erweitern
und respektvoll miteinander umgehen, auf Augenhöhe und… irgendwie vogeliger.

 

 

Wie könnte das aussehen, mit der Augenhöhe?
Diese Dokumentation stellt Anna Breytenbach vor, eine (weiße) Südafrikanerin, die ihr Leben der Verbindung und dem Austausch mit (gerade auch wilden) Tieren gewidmet hat. Wenn Ihr noch von anderen Gruppen oder Einzelpersonen wisst, die keine so gut sichtbare Plattform im weltweiten Netz finden, freu ich mich über Hinweise **

 

Es gibt sie ja, die ganz anderen Leitmotive…
Etwa bei First Nation People überall auf der Welt, wie in einer Hausarbeit der Uni Jena im Bezug auf Australien beschrieben:
Durch die extremen Bedingungen in Australien waren die Aborigines von der Natur abhängig, die ihnen Nahrungsquelle und ”Heimat” zugleich war. Aufgrund dieser Abhängigkeit herrschte ein ständiges Geben und Nehmen. Aborigines vertrauten auf den Reichtum und die Vielfalt der Natur und legten auf ihren Wanderungen nie einen Vorrat an. Sie nahmen der Natur nur so viel, wie sie momentan brauchten. Trotzdem sahen sie die Gaben der Natur nicht als selbstverständlich an, sondern entschuldigten und bedankten sich für alles, was sie bekommen hatten. Nutzbarmachung und Ausbeutung waren ihnen unbekannt, denn Mensch, Tier, Pflanze und Erde bilden eine unzertrennbare Einheit. Die Aborigines studierten die Natur und zogen Rückschlüsse aus den Erkenntnissen, die sie zu der Überzeugung brachten, daß die Natur ein „Ausdruck eines tiefergehenden, ganzheitlichen metaphysischen Prinzips ist, das alles, was ist, umfaßt.“ (Susanne Grolle)
Hört in diesem Zusammenhang den bolivianischen Vizepräsidenten David Choquehuanca
in seiner Rede zum Amtsantritt am 8. November 2020.

 

Dank an:
Lenka für die ursprüngliche Inspiration, Esther und Claus für das Weiten der Wahrnehmung.

 

Noch mehr Futter für den Geist..
stellt Susanne Fischer-Rizzi in ihrem Buch über Tierverbündete vor. Wer mit der Autorin etwas anfangen kann, findet auf ihrer Seite zwischen Wildniswissen und Kräuterheilkunde eine ganze Menge Lesematerial und Seminarangebote (die Tierkommunikation ist leider aktuell nicht mehr dabei).

 

homo homini lupus – der Mensch dem Menschen ein Wolf?
Ein wenig menschliche Bescheidenheit lässt sich auf jeden Fall lernen bei der Lektüre vom Philosopher and the Wolf. Denn auch wenn die Beschaffenheit unseres Geistes schon die Pyramiden, die Musik von Clara Schumann und das Zurücktreten von reinen Instinkten möglich gemacht hat… Letzteres hat auch unser nicht jagender Jagdhund geschafft und außerdem: was machen wir denn immer wieder daraus? Lest, auf dass die Wölfe nicht mehr die Bösen sein mögen in unseren Köpfen und unseren Geschichten. Gibts auch auf deutsch.

Nachtrag im April: Es gibt sie schon, die anderen Geschichten über Wölfe.
Eine davon hat Finnja geschrieben, vielen Dank dafür **

 

Das Zitat, das vieles auf den Punkt bringt.

Der Mensch ist ein Teil des Ganzen, das wir Universum nennen, ein in Raum und Zeit begrenzter Teil. Er erfährt sich selbst, seine Gedanken und Gefühle als abgetrennt von allem anderen – eine Art optische Täuschung des Bewußtseins. Diese Täuschung ist für uns eine Art Gefängnis, das uns auf unsere eigenen Vorlieben und auf die Zuneigung zu wenigen uns Nahestehenden beschränkt. Unser Ziel muß es sein, uns aus diesem Gefängnis zu befreien, indem wir den Horizont unseres Mitgefühls erweitern, bis er alle lebenden Wesen und die gesamte Natur in all ihrer Schönheit umfaßt. Soll die Menschheit überleben, brauchen wir eine grundsätzlich andere Art des Denkens.
                                                                                                                                                                              Albert Einstein