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28. Mai 2020
Sabotierte Ungeduld und das Summen der Alpakas.

Wenn Alpakas sich wirklich wohl und aufgehoben fühlen, summen sie. Es ist ein ganz kleines, tief bewegendes Geräusch, das zu Tränen rühren und alles andere nebensächlich erscheinen lassen kann. So nebensächlich wie die Eile, die ich neulich einmal zu haben glaubte und die glücklicherweise nicht allzu ernst genommen wurde. Hätte die kluge Frau an meiner Seite nicht das zügige von A nach B Kommen einfach unterbrochen – wir wären der kleinen Herde junger Alpakas am Rand der Straße nicht begegnet, die da miteinander in friedliche, absichtslos wirkende Kommunikation vertieft war. So fand das Leben wieder einmal im Anhalten statt und noch jetzt bleibt mir ein akustisches Bild innerer Ruhe und der Fülle, die in ihr blüht. Wunder beginnen offenbar häufig mit dem Mut zur Langsamkeit – die Wunder der Tierbegegnung ebenso wie die des täglichen Lebens.

Denn nehmen wir im Innern das Tempo heraus, entsteht eine Freiheit, die wundersam ist – unabhängig von dem, was im Aussen passiert. Wenn Ruhe ist im Zentrum unserer Bewegung, können wir auch in komplexen Situationen kreative Entscheidungen treffen und in Gelassenheit handeln. Wir können den Boden unter den Füssen behalten im Auge des Homeschooling_Sturms, in zenartiger Geisteshaltung die wildesten Herausforderungen menschlichen Miteinanders navigieren und auch, wenn die Musik immer schneller wird, aus einer entspannten Mitte heraus tanzen, jede neue, unerwartete Bewegung geniessend. Das Mysterium des geschmeidigen Lebens beginnt mit einer allgegenwärtigen Sorgfalt, die in Ruhe gegründet ist – und im Loslassen von Ungeduld. Im Loslassen auch von automatisierten, übereilten Mustern, die uns von der Unmittelbarkeit und Weite der eigenen Handlungsspielräume abhalten.

„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion.
In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“

Da sind wir wieder bei Viktor Frankl angelangt, und gut ist das. Wenn es uns gelingt, den beschriebenen Raum für uns wohnlich zu machen, ihn als jederzeit zugänglich zu erleben, kann ein Frieden in unsere Tage einkehren, der immer schon als Potential angelegt ist. Mit diesem Frieden wird Klarheit möglich, das Hören auf die innere Stimme und das Gefühl für den richtigen Zeitpunkt – feine Künste, die es zu kultivieren lohnt. Mit deren Hilfe wir auch in einer Kultur, die spätestens seit MTV und dem Internet von hohem Tempo und Multitasking geprägt ist, das Leben unmittelbar erleben können. Wir können uns den Menschen, denen wir begegnen, wirklich zuwenden und uns die Zeit nehmen, sie immer wieder aufs Neue kennenzulernen. Wir können die Dinge, die wir tun, mit Aufmerksamkeit und Hingabe tun, anstatt sie nur noch schnell zu erledigen, bevor das ominöse, vielleicht nie eintretende Eigentliche beginnt. Ein Schritt, ein Atemzug, ein Besenstrich, wie Michael Ende schrieb.

Wir können entscheiden, wie wir leben wollen.

 

 

Achtsamkeitsübung der Woche:
Werde Dir der Ungeduld bewusst, wenn sie in Deinem Tag auftaucht.
Frage Dich, warum Du in Eile bist, wohin Dich Deine Eile führen soll.
Ungeduld raubt uns die Gegenwart. Wenn Du sie spürst, kehre zurück ins Hier und Jetzt, atme und öffne alle Sinne.
(vgl. Jan Chozen Bays, How to train a wild elephant)

Buchreihe der Woche:
The  No. 1 Ladies´Detective Agency von Alexander McCall Smith (auf Englisch oder Deutsch).
Die Begegnung mit Mma Ramotswe & co bringt eine humorvolle Seelenruhe in meinen Tag,
die alles in Perspektive rücken kann. Botswanischer Humanismus ist inbegriffen.
(„… she was not the sort of detective – or person, indeed – who needed to get anywhere fast. In her experience, the places one set off for were usually still there no matter when one arrived; it would be different, naturally enough, if towns, villages, houses moved – then one might have a real reason to hurry – but they did not.“)

Film der Woche:
Kleines Wunder in Zeitlupe

Musikalische Auszeit der Woche:
FM Laeti: We go slow. Mach die Augen zu, lass Dich mitnehmen ins Langsame. Und ja: tanzen ausdrücklich erlaubt!

Pfeiltasten Hoch/Runter benutzen, um die Lautstärke zu regeln.

Langsame Initiativen der Woche:
Slow Food und CittaSlow – weil nachhaltig nicht ohne langsam geht.